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Alte und neue Traditionen - Schüleraustauschgruppe in Mielec

Eine kleine, grüne Oase im sonnigen Innenhof des Mielecer Konarski-Lyzeums. Obwohl es erst Mitte April ist, sitzen 9 polnische Jugendliche mit ihren 7 Gästen aus der SII-Einführungsphase der Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Klappliegestühlen und diskutieren auf Englisch über Idole und Autoritäten: Was ist der Unterschied? Und wer ist Idol? Wer Autorität? Braucht es sie? – Diese Form von Projektarbeit ist es, die den traditionellen Austausch der beiden Partnerschulen von einer rein touristischen Reise abgrenzt. Nach diesem intuitiven Zugang vertiefen die Schülerinnen und Schüler das Thema durch eine wissenschaftliche Perspektive durch einen Workshop an der Universität Rzeszów. Und sie zeigen überraschend auf, wie grau alle Theorie ist: Während die Dozentin die wachsende Bedeutung von Influencer_innen, Stars und fiktiven Figuren herausarbeitete, nannten die Teilnehmenden unter anderem den früheren polnischen Papst Johannes Paul II., den polnischen Widerstandskämpfer gegen die nationalsozialistischen Besatzern Witold Pilecki, die Tauben auf dem Krakauer Marktplatz oder gar die sich gerade neu findende Austauschgruppe!



Intensive Eindrücke, die man als Tourist kaum erleben kann, bietet das Familienleben: Die Lernenden sind zu Gast in einer Familie. Das bietet die Chance, ganz besondere Einblicke ins Leben anderer Menschen zu bekommen und ganz neue Erfahrungen zu sammeln. Es ist aber auch stets eine große Herausforderung, sich auf das Leben bei Menschen einzulassen, die man noch nicht kennt – und mit denen man möglicherweise keine gemeinsame Sprache teilt. Umso mehr wachsen viele der Jugendlichen genau an diesen Erfahrungen. Und das muss gar nicht schwierig sein: „Ich habe mich noch nie so schnell so zuhause gefühlt. Eine solche Gastfreundschaft hatte ich nicht mal erträumen können.“, schwärmt z.B. Arwen Zwenke.

Zur Tradition des Austauschs gehören normalerweise auch offizielle Besuche beim Bürgermeister der Partnerstadt und dem Landrat als Schulträger. Die diesjährige Austauschgruppe war allerdings im Zeitraum der Lokal- und Regionalwahlen zu Gast in Polen. So erlebten sie nicht nur den Wahlkampf und diskutierten über politische Themen, sondern erlebten auch, dass die Amtsträger nicht wiedergewählt wurden – und die vereinbarten Empfangstermine zwei Tage später (aus nachvollziehbaren Gründen) absagten. Als Ersatzprogramm organisierte das Leitungsteam des Konarski-Lyzeums eine gemeinsame Radtour durch Mielecer Umgebung inklusive Picknicks an einem kleinen Waldsee. Während es den Vertretern der Schulen durchaus wichtig ist, ihre Arbeit den Mitgliedern aus Politik und Verwaltung darzustellen und sich für die Unterstützung zu bedanken, konnten die Jugendlichen die Planänderung durchaus gelassen ertragen.

Unterstützung erhalten beide Schulen übrigens auch seitens des Deutsch-Polnischen Jugendwerks: Es finanziert Teile der Reise- und Programmkosten und stellt kostenlos landeskundliche Informationen zur Reisevorbereitung sowie speziell für Jugendbegegnungen entwickelte Sprachführer zur Verfügung. Die Leitungsteams erhalten Wissen, Ideen und didaktisches Material z.B. zu Sprachanimationen.

Eine Tradition aus der Gründungszeit der Schulpartnerschaft 2003 konnte zuverlässig fortgesetzt werden: Der Besuch bei der Firma Bury. Sie produziert in beiden Partnerstädten Elektronik-Zubehör für die Automobil-Industrie. Ihre Eigentümer, die Familie Bury, sind Initiatoren der Städtepartnerschaft und unterstützen die Aktivitäten zwischen den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder neu. Bei der Firmenbesichtigung erhielten die Jugendlichen einerseits Einblicke in aktuelle Trends der Produktentwicklung und spannende Einblicke in hochmoderne Herstellungsverfahren. Die Besichtigung der Produktion bei der Firma Bury ist besonders interessant, da es zum Konzept der Firma gehört, alles unter einem Dach und aus einer Hand zu produzieren. So lässt sich der gesamte Weg vom Rohstoff zum Produkt mitverfolgen.



Eine neue Tradition wurde in diesem Jahr auch auf den Weg gebracht: Die Austauschgruppe besuchte das Vielfalts-Graffito im Mielecer Smoczka-Viertel. Fynn Wehmeier sprühte es im Sommer 2023 dort an eine Garagenwand. Mit Unterstützung des Stadtpräsidenten und des Schulleiters des Konarski-Lyzeums konnte das Löhner Mural aus dem 2018er-Austausch-Projekt wieder lebendig gemacht werden. Das Werk soll lang erhalten bleiben – auch in der Erinnerung an den Austausch und in Gesprächen unter Bürgerinnen und Bürgern. Daher ist es das Ziel, dass alle Teilnehmenden an Löhner-Mielecer-Begegnungen das Mural durch ihren Handabdruck erweitern und verändern. Die 2024er-Austausch-Gruppe machte den Start.



Die intensive Woche ging schnell vorbei und endete mit einem Abschlussabend in einer Kleingartenanlage in Nachbarschaft zum Mielecer Flughafen – mit Musik, Gegrilltem, entspannter Atmosphäre und einer kleinen kreativen Erinnerungs-Kunst-Aktion, mit der die polnischen Schüler überraschten. Auch solche Erfahrungen sind besonders und nicht von Reisveranstaltern organisierbar.

Ende Mai wechseln die Rollen: die Gastgeber werden zu Gästen. Die Jugendlichen und ihre Lehrer arbeiten daran, dass auch die Begegnung in Löhne eine ganz besondere Erfahrung wird, die lange in bester Erinnerung bleibt.

 

Text: V. Hegemann




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